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Michelangelo: Jeremia

Vom stillen Ozean zu klangvollem Wellengang

BERNVOCAL, der neu gegründete professionelle Kammerchor für Alte Musik, bestritt in Amsoldingen sein erstes Konzert und bestand mit Bravour die Feuertaufe.

Vorschusslorbeeren gab es keine. Ohne Eingangsapplaus positionieren sich die 16 Sängerinnen und Sänger halbkreisförmig im Chorraum der Kirche Amsoldingen. Gespannt wird gelauscht, wie sich der Gesamtklang des neu formierten Kammerchors BERNVOCAL wohl einstellen wird. Lediglich mit „Continuo Anthems“, also mit begleiteten geistlichen Chorkompositionen des englischen Barockkomponisten Henry Purcell, will sich das Berner Vokalensemble profilieren. Und es gelingt. Die Musik von Purcell breitet sich aus wie ein stiller Ozean, die Stimmen der international besetzten Profisängerinnen und -sänger verdichten sich zu einem engmaschigen Netz. Wie sich als Betrachter eines Ozeans die unter der Oberfläche abspielende Betriebsamkeit nur erahnen lässt, strömt auch die Musik von Purcell trotz dichter Kontrapunktik und gewitzten harmonischen Wendungen ruhig daher.

Reduktion aufs Wesentliche

Die Programmdramaturgie erweist sich beim Publikum als Einübung in die Geduldausübung und erlangt gerade dadurch an Stringenz: Keine Effekthascherei lenkt vom Wesentlichen ab, keine unnötigen Stilbrüche stören die Konzentration auf den reinen Purcell-Klang, der vom Ensemble abgerundet und ausgewogen präsentiert wird. Filigran und agil begleitet der Organist Jürg Brunner dabei die „Anthems“ vom Orgelpositiv aus und durchbricht das einförmige Programm mit einer etwas abgehackt gespielten „Toccata“ und einem sensibel ausmusizierten „Capriccio“ Johann Jakob Frobergers von der grossen Orgel aus.

Ausdrucksstarke Stimmen

Der künstlerische Leiter des Kammerchors, Fritz Krämer, lässt die Wellen der Musik, die Phrasen, die zum Höhepunkt gehen und wieder zurück zur Stille, in den „Anthems“ breit auskosten, besonders schön in „Let Mine Eyes Run Down with Tears“ und „Thou Knowest, Lord, the Secrets of Our Hearts“. Nur in den Schlussklängen schleichen sich in einigen Stücken Unreinheiten der Intonation ein, stärker stört hingegen die gelegentliche interpretatorische Teilnahmslosigkeit des Bassregisters.

Das Potenzial des Kammerchores lässt sich in den solistischen Partien der Stücke erkennen, ausdrucksstarke Stimmen, die gleichwohl zu einem homogenen Gesamtklang verschmelzen; in Erinnerung bleibend: die helle klare Tenorstimme von Michael Feyfar.

Mit BERNVOCAL erweitert Fritz Krämer die florierende Berner Barockszene mit einem Vokalensemble auf Spitzenniveau. Eine glorreiche Zukunft ist ihm zu gönnen.

Andreas Zurbriggen, © Berner Zeitung

(Wir danken der Berner Zeitung für die freundliche Genehmigung, diesen Artikel hier abzudrucken.)